PERRY-RHODAN-Kommentar 23


DIE CHARON-WOLKE


Atlan hat zwar keine Beweise, aber aufgrund der während seiner Verbannungszeit auf der Erde mit ES gemachten Erfahrungen – zu denen diverse Eingriffe, von Wanderer geflüchtete Androiden und dergleichen mehr gehörten – vermutet er angesichts des Datenmaterials, dass der Begriff »Charon« der griechischen Mythologie für den »Fährmann, der die Toten über den Grenzfluss der Unterwelt fährt« keineswegs eine zufällige Übereinstimmung ist.

Die weiteren Basisdaten fallen deutlich prosaischer aus: Im etwa 800 Lichtjahre unterhalb der galaktischen Hauptebene gelegenen Sektor der Charon-Wolke beträgt die durchschnittliche Distanz zwischen den Sonnen etwa eineinhalb bis zwei Lichtjahre; der Wolkenmittelpunkt ist 988 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum und 29.987 Lichtjahre von Terra entfernt. Der Durchmesser der Wolke ist mit 24 Lichtjahren im Vergleich zu den übrigen ehemaligen Hyperkokongebieten vergleichsweise klein; die endgültige Materialisation der Charon-Wolke fand am 16. Dezember 1331 NGZ um 19.12 Uhr statt.

Von außen betrachtet ist sie jedoch kein Haufen von Sternen, sondern ein fast exakt kugelförmiges Gebilde, das im All wie matt illuminiertes Schneegestöber aussieht – deshalb als Strukturgestöber umschrieben. Die Grenze der Charon-Schranke ist hierbei eine langsam wabernde Zone, jenseits deren der normale Zustand des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums zu »etwas anderem« wechselt. Die Messwerte sind hierbei absolut widersprüchlich. Permanent werden aus kleinsten Teilbereichen der Wolke und oft nur für kleinste Bruchteile einer Sekunde unterschiedliche Strangenesswerte gemessen. Der Wert der Kosmischen Hintergrundstrahlung, der aus der Charon-Wolke empfangen wird, entspricht einmal in kleinsten Ausschnitten den Werten eines sterbenden Universums, dann wieder finden sich Werte, die denen eines stark expandierten Universums entsprechen – also das genaue Gegenteil. Aber auch das ist jeweils nur eine Momentaufnahme.

Nur die neun Planetensysteme und das Umfeld der übrigen planetenlosen Sonnen sind nicht betroffen, da neben der starken Hyperstrahlung der Sterne hier die Schwerefelder der Sonnen und Planeten in einem gewissen Umkreis die Raum-Zeit-Struktur stabilisieren – offenbar die einzige Möglichkeit einer großräumigen »Normalisierung« dieser Umgebung. Außerhalb der Systeme mixen sich dagegen Strömungen des veränderten Raum-Zeit-Kontinuums und (Hyper-)Energie zu einem unglaublich komplexen, sogar für die Charonii rätselhaften Durcheinander, einem höherdimensionalen »Quirl«. Die Strukturpiloten können diese Strömungen lediglich erspüren – aber das macht sie zu den ungekrönten Herrschern der Wolke.
Bei 24 Lichtjahren Durchmesser weist die Konstellation für den Zentrumsbereich der Milchstraße eine eher geringe Dichte auf; auffallend ist allerdings, dass sämtliche Sonnen starke Hyperstrahler sind. Ursprünglich gab es zweifellos einmal mehr Sonnen, von denen die meisten jedoch vom »Quirl« des Strukturgestöbers vernichtet wurden. Fest steht, dass alles, was größer als ein paar Meter ist, von den Strömungen der Wolke gleichsam zerlegt wird. Sogar die Ausbreitung von Licht ist betroffen – was wiederum von außen wie von innen den optischen Effekt des Strukturgestöbers erzeugt. Wer in dieses eindringt, gleich ob von außen oder aus einem der Systeme in der Wolke, wird »einfach zerlegt« – was allerdings einer Vernichtung gleichkommt.

Dass es die Superintelligenz ES oder die von ihr beauftragten Unbekannten geschafft haben, ein solches Objekt scheinbar ohne sonderliche Wechselwirkungen in einem Hyperkokon verschwinden zu lassen, stimmt zwar verwunderlich, aber im Nachhinein wird sich vermutlich nicht mehr aufklären lassen, welche Technologien dafür verwendet wurden.
Die acht Spendersonnen des »Sonnenwürfels«, die bis 1331 NGZ den Hyperkokon aufrecht erhalten haben, gehörten jedenfalls nicht zum ursprünglichen Sternhaufen. Ihre Position befindet sich knapp außerhalb der Charon-Wolke, in der die vor Ort vorgefundenen Bedingungen für eine Hyperkokon-Einlagerung also nicht ausreichten. Deshalb wurden die Sterne künstlich platziert – eine Konstellation von »fast exakter« Würfelform mit den acht blauen Riesensonnen von 250 Millionen Kilometern Durchmesser als Eckpunkten bei einer Kantenlänge von etwa sieben Lichtmonaten.

Im Zentrum der Wolke befindet sich das als tabu geltende Goldene System. Von ihm heißt es, dass Charonii, die ihm zu nahe kommen, dem Untergang geweiht seien – und daran glauben sie fest. Für die Charonii ist das Goldene System der Sitz des Unheils und des Todes – aber auch Fundort des Salkrit genannten Materials ...

Rainer Castor